Das neue Interview von Jürgen Todenhöfer wirft mehr Fragen auf als es beantwortet. Ich habe Sie ihm direkt auf seiner Facebookseite gestellt, ohne Polemik und sachlich, da ich einige Aspekte nicht einordnen kann. Schließlich forderte er in seinem Beitrag direkt dazu auf „schreibt mir Eure Meinung“. Auch andere Analysten haben inzwischen Zweifel geäußert. Jetzt wurde meine Kommentarfunktion auf seiner Seite gesperrt und meine Kommentare gelöscht. Ich habe nur Fragen, keine Anschuldigungen und die Ungereimtheiten ergeben sich für mich aus folgenden Punkten:
Der angebliche Nusra-Kommandeur trägt einen Goldring. Das passt nicht zur salafistischen Ideologie, wonach Gold für Männer verboten ist. Im gesamten Interview hört man keine einzige religiöse Floskel wie „inshallah“, „bi izn allah“ oder „Allahu taala“oä. Für jeden Dschihadisten ist das Pflichtprogramm (Zum Vergleich ein Vice-Beitrag über al-Nusra: https://www.youtube.com/watch?v=7sPY0X8SrLo). Der angebliche Kommandeur berichtet auch von einer direkten Unterstützung saudischer, amerikanischer und israelischer (!!!) Militärs für al-Qaida bei der Castello-Route in Aleppo. Dies würde jeglicher al-Qaida-Programmatik und -Ideologie zuwiderlaufen. Wäre es wahr, würde al-Qaida alles tun um dies in der Öffentlichkeit zu verschleiern. Dass sich Israelis allerdings im syrischen Kriegsgebiet mit hoher Dichte an dschihadistischen Gruppierungen aufhalten halte ich für unmöglich.
Der Kommandeur spricht davon, dass der Steinbruch an das Aleppiner Viertel Sheikh Saeed angrenze. Betrachtet man Satellitenbilder gibt es tatsächlich ein Steinbruch namens Ayn al-Asafeer neben einer Zementfabrik, das auch der Optik aus dem Video entsprechen könnte. Auch die Gebäude, die man in dem Video sieht, dürften zum Komplex der Zementfabrik gehören. Diese Region war von Ende Juli bis Anfang September Schauplatz heftiger Gefechte, weil eine Rebellenkoalition es schaffte neben der Zementfabrik den Belagerungsring um Ost-Aleppo zu durchbrechen. Ich habe mir einige Karten mit den Frontverläufen angesehen und bisher keine gefunden, in der dieser Steinbruch unter Kontrolle von Rebellengruppen gestanden hat.

Vor zehn Tagen befand sich dieser Steinbruch definitiv nicht unter Kontrolle der Nusra-Front.(hier finden Sie alle Frontverläufe in Süd-Aleppo in den letzten Jahren. Der Steinbruch befand sich immer unter Regime-Kontrolle: http://imgur.com/a/SFTVz)
Wären dort al-Qaida-Kämpfer gewesen, dann wäre dieses Gebiet vor zehn Tagen heftig umkämpft gewesen! Zudem heißt Jabhat al-Nusra seit mehreren Wochen Jabhat Fath al-Sham und gehört offiziell nicht mehr zu al-Qaida. Kein Kommandeur hätte vor zehn Tagen gesagt, dass sie Nusra heißen und zu al-Qaida gehören. Der prominente niederländische Ex-Nusra- und jetzt Fath al-Sham-Kämpfer Abu Saeed Al-Halabi dementierte inzwischen, dass Todenhöfer ein Interview mit seiner Gruppe geführt habe.
Important || German journalist? Jürgen Todenhöfer never conducted an interview with a JFS member nor did he enter the liberated areas.
— Abu Saeed Al-Halabi (@Saeed__Saeed01) 27. September 2016
Personen des öffentlichen Lebens, wie Jürgen Todenhöfer, unterhalten Facebookseiten, um auch in Kontakt mit Usern treten zu können. Auf meine kritischen Anmerkungen, die ich bewusst sachlich und nicht polemisch geschrieben habe, hätte er einfach eingehen können. Ein Mensch, der wie er immer auf die „Wahrheit“ verweist und heftig austeilt, müsste doch damit leicht umgehen und kritisches Fragen leicht entkräften können. Dass kritische Kommentare dann gelöscht werden und eine weitere Kommentierung unterbunden wird deutet nicht auf Ehrlichkeit hin. Vielleicht ist Todenhöfer auch einfach hereingelegt worden oder er kann diese Ungereimtheiten zufriedenstellend erklären. Dazu sollte er auch öffentlich Gelegenheit bekommen. Wer aber selbst andere so häufig der Lüge bezichtigt und austeilt, der sollte schnell auf derartige kritische Punkte reagieren.



Teil 6 der Reihe Syrien: Wie konnte sich die Revolution radikalisieren? betrachtet einige christliche Milizen in Syrien, die sich entweder dem Regime, der Freien Syrischen Armee oder der syrischen PKK (YPG) angeschlossen haben. Der Artikel basiert auf Recherchen bis Ende März 2014 kurz vor dem rasanten Aufstieg des IS ab April, da die Reihe das Vorfeld des Erfolgs des IS beschreibt. Betrachtet werden nur Teilaspekte und eine Auswahl an militanten Organisationen, keine zivilen Oppositionellen oder Regimebefürworter. Auf die Frage, ob sich die Christen mehrheitlich regimenah oder regimekritisch positionieren wird aufgrund der hohen Komplexität und der Tatsache, dass eine Beantwortung dieser Frage nahezu unmöglich ist, verzichtet. Es soll lediglich ein Überblick über einzelne Positionierungen bis zu der Zeit kurz vor den Erfolgen des IS und den damit verbundenen Schwierigkeiten dargestellt werden.