Islamisten gegen Hamas: Salafisten in Gaza

Im Zuge der jetzigen Eskalation in Nahost werden maßgeblich Mitschuldige an der derzeitigen Situation äußerst wenig betrachtet: salafistische Milizen. Denn hinter den terroristisch motivierten Raketenangriffen auf Israel in den letzten Tagen stehen meist al-Qaida Gruppierungen, die auf der einen Seite Israel als ihren Feind ansehen, aber auch die Hamas radikal bekämpfen.

(Dieser Artikel erschien zuerst auf Fokus-Nahost.de)

Die palästinensischen Salafisten argumentieren aus einer radikal-islamistischen Perspektive und betrachten die im Westjordanland herrschende Fatah wegen ihrer säkularen Ausrichtung als Feind und werfen der Hamas vor, der Scharia nicht ausreichend Geltung zu verschaffen. Seit den Anschlägen vom 11. September haben militante salafistische Gruppen, die man oft als al-Qaida-Zellen bezeichnet, regen Zulauf durch Freiwillige aus der gesamten islamischen Welt bekommen. In der Westbank, aber auch im Gazastreifen, konnten solche al-Qaida nahe Gruppierungen anfangs nicht Fuß fassen, da die Hamas als islamistische Widerstandsbewegung diesem den Nährboden entzog.

Im Zuge der Machtübernahme und der damit einhergehenden ideologischen Mäßigung der Hamas, begründet unter anderem durch das internationale politischen Auftreten, und einhergehend mit der israelischen Blockade des Gazastreifens, änderte sich dies schlagartig. Da der Gazastreifen, mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde, , nahezu komplett durch illegale Tunnel unter der ägyptischen Grenze hindurch versorgt werden muss und die Bevölkerung unter weitreichender Armut und Arbeitslosigkeit leidet, konnten salafistische Gruppen zumeist in Flüchtlingslagern und ärmeren Vierteln Boden gutmachen. Viele ihrer Angehörigen sind enttäuschte ehemalige Mitglieder der Qassam-Brigaden der Hamas, die sich von diesen aufgrund ihrer moderaten Einstellung abwandten. Des Weiteren übernehmen die Salafisten oftmals die Aufgaben sogenannter “Tugendwächter”, sprich sie passen auf, dass die Bevölkerung strikt nach den Regeln der Scharia lebt. Hierfür werden auch schon mal Internetcafés angezündet oder sogar Sprengstoffanschläge verübt.

Ein Beispiel für eine solche Organisation wäre die Jaish al-Ummah (arab. für “Armee der islamischen Nation “), die  im Zahra-Viertel von Gaza aktiv ist. Unter ihrem Anführer Ismail Hammed tut sich diese Gruppe vor allem durch Entführungen hervor. Um den in Großbritannien inhaftierten salafistischen Prediger Abu Qatada freizupressen, kidnappte die Jaish al-Ummah den schottischen BBC-Korrespondenten Alan Johnston, der nach insgesamt 114 Tagen Geiselhaft wieder freikam. Prominentestes Entführungsopfer der Miliz war der israelische Soldat Gilad Shalit, der in einer spektakulären Nacht- und Nebelaktion von einem Stützpunkt der Armee durch einen Tunnel in den Gazastreifen gebracht und dort der Hamas als Gefangener überstellt wurde. Die Jaish al-Ummah agiert offen als al-Qaida-Ableger in Palästina und kritisiert wie auch die anderen Gruppierungen die für sie zu liberale Auslegung der Scharia durch die Hamas, obwohl sie punktuell auch mit ihr zusammenarbeitet.

Besonders Aufsehen erregend war die Ermordung des pro-palästinensischen Aktivisten Vittorio Arrigoni durch die Salafistenmiliz Jama’at al-Tawhid wa al-Jihad, obwohl dieser sich Zeit seines Lebens für die Verbesserung der Lebensumstände der Palästinenser eingesetzt hatte. Der Tawhid- und Jihad-Vereinigung ist die Präsenz von Nichtmuslimen wie Arrigoni, trotz ihres Engagements, ein Dorn im Auge. Die Paramilitärs richteten ihn vor laufender Kamera hin. Dadurch sollte die Hamas direkt herausgefordert werden, was eine Militäraktion der Polizeikräfte von Gaza nach sich zog, in der einige Salafisten getötet wurden.

Die bisher größte Herausforderung  für die Stellung der Hamas stellte jedoch die Jund Ansar Allah dar. Diese Gruppe war bisher die schlagkräftigste salafistische Organisation im Gazastreifen. Sie stand unter der Leitung von Abdel Latif Mussa, einem der einflussreichsten Gelehrten im südlichen Gazastreifen. Besonders beliebt sind seine Reden bei jungen Männern aus Rafah, das am häufigsten von Bombenangriffen heimgesucht wird, da sich dort die Schmugglertunnel nach Ägypten befinden. Auch Mussa warf der Hamas vor, die Scharia nicht ausreichend durchgesetzt zu haben und zweifelte stets die Rechtmäßigkeit der Hamas-Herrschaft an.

Jund Ansar Allah führte seit dem Jahr 2008 mehrere militärische Aktionen gegen israelische Grenzposten durch. Größere Erfolge konnte die Miliz allerdings nicht erreichen. Besonders große Aufmerksamkeit bescherte ihr ein Coup ihres Anführers, der am 14. August 2009 in der Ibn-Taimiya-Moschee in Rafah den Gaza-Streifen kurzerhand zum islamischen Emirat erklärte. Anschließend verschanzte er sich mit rund einhundert Kämpfern in der Moschee. Da die Hamas dies als direkte Infragestellung ihrer Herrschaft ansah, griff sie mit Einheiten der Qassam-Brigaden die Moschee an und schlug die Revolte blutig nieder. 24 Menschen wurden dabei getötet. Der Hamas wurde später vorgeworfen, sie hätte eine Gruppe von Salafisten auf einem Hof hinter der Moschee hingerichtet.

Nach diesem Vorfall, bei dem auch Abdel Latif Mussa starb, erklärte Jund Ansar Allah die Hamas zu einer Organisation von Ungläubigen. Hier kann man eine deutliche Radikalisierung erkennen, da vorher immer nur von einer mangelnden Konsequenz bei der Umsetzung des islamischen Rechts die Rede war. Da Jund Ansar Allah über einen wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung des südlichen Gazastreifens verfügt, könnte vor allem diese salafistische Gruppierung eine direkte Konkurrenz für die Hamas darstellen, insbesondere, wenn die Blockade des Gazastreifens durch Israel aufrecht erhalten wird und koordinierte Aktionen gegen Israel der palästinensischen Bevölkerung als militärische Erfolge verkauft werden können.

Verstärken dürften diesen Trend die neuen Entwicklungen, die der Arabische Frühling mit sich bringt. Vor allem im Sinai sind seither salafistische Milizen, die sich selbst als Teil von al-Qaida sehen, aktiv. Anfang Juli 2012 erklärte eine Gruppe von Kämpfern die Gründung der Majlis Shura al-Mujahedin fi Aknaf Bayt al-Maqdis (arab. für “Ratsversammlung der Kämpfer des Jihad in der Umgebung von Jerusalem”). Diese möchte die Koordinierung des Jihad in der Region verbessern und so insbesondere Israel ins Visier nehmen. Den Namen Aknaf Bayt al-Maqdis wählte man, um zu verdeutlichen, dass man von der gesamten Umgebung des Heiligen Landes, das heißt vor allem von Syrien und dem Sinai aus gegen Israel operieren möchte. Auf Videoaufnahmen ist zu erkennen, wie israelische Grenzbereiche gefilmt und danach studiert werden, um diese mutmaßlich in Zukunft attackieren zu können.


Seit längerem sind jihadistische Gruppen in Syrien aktiv und kämpfen gegen das Regime von Baschar al-Assad. Am 19. Juli nahm eine solche Einheit den Grenzort Bab al-Hawa ein. In einem Videobeitrag war hier ebenfalls von Majlis Shura al-Mujahedin die Rede. Es wäre von besonderer Brisanz, wenn diese Vereinigung mit Veteranen aus dem Syrienkrieg und eventuell auch dem Irak, das heißt mit Kampferfahrung, auf den Sinai gelangt und gemeinsam mit Gruppen wie Jund Ansar Allah den Kampf sowohl gegen Israel, als auch gegen die Hamas eröffnen würde.

Im November 2012 kam es vermehrt zu terroristischen Angriffen auf Israel. So feuerten militante Palästinensergruppen vermehrt Raketen auf Grenzstädte wie Sderot und versetzten dabei die Bevölkerung dort in Angst und Schrecken. Das Ziel dieser Attacken ist anscheinend aber primär, die Hamas-Regierung zu destabilisieren, die man in militant-salafistischen Kreisen immer häufiger als abtrünnig oder gar ungläubig und damit zu bekämpfen betrachtet. Die jetzige Reaktion der Netanjahu-Regierung, den Militärchef der Hamas zu töten und nicht Stellungen der salafistischen Milizen zu bombardieren kann sich als fatal erweisen. Profitieren können bei einer erneuten Eskalation ausschließlich extremistische Randgruppen, da die Hamas-Regierung in der Bevölkerung des Gazastreifens wegen der anhaltend schlechten Lage immer negativer beäugt wird. Sollten die Salafisten aber nachhaltig profitieren können und zu einer ernst zunehmenden politische Größe in den Palästinensergebieten aufsteigen, würde ein jetzt noch möglicher Frieden in weite Ferne rücken.

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