Israel und Gaza: Schlachtfeld Internet und soziale Medien

#Breaking : the #IDF started an operation against terror organizations in #Gaza due to the ongoing attacks against #Israeli civilians

Am Morgen des 14. Novembers 2012 um 04:17 Uhr Ortszeit schrieb die israelische Armeesprecherin Avital Leibovich mit diesem Tweet Geschichte. Die neueste israelische Militäroperation „Amud Anan“ (hebr. für Wolkensäule) leitete damit die neueste Entwicklung von Propaganda und Kriegsführung im Internet seit dem Auftreten sozialer Medien wie Youtube, Facebook oder Twitter ein. Mit dem Ausbruch der neuesten Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten palästinensischen Gruppierungen und der israelischen Armee (IDF) Mitte November 2012 erlangt Meinungsmache bezüglich eines Krieges eine völlig neue Dimension. Auch das Hackernetzwerk Anonymous schaltet sich nun ein und eröffnet den „Cyber-Krieg“. Die Kämpfe toben jetzt auch online. von Fabian Schmidmeier

Propagandaschlacht in den sozialen Medien

Drei Minuten nach der Kriegserklärung via Twitter verkündete die israelische Armeesprecherin Avital Leibovich, dass man den Chef des bewaffneten Arms der in Gaza herrschenden Hamas, Ahmed al-Jabari, mit einer Rakete auf sein fahrendes Auto getötet habe. Sofort veröffentlichte die israelische Armee über ihrem Youtube-Kanal eine Luftaufnahme dieses Raketenangriffes, die bis zum 20. November über 4 Millionen Mal angeklickt wurde.

In der Facebook-Gruppe „Israel Defense Forces“ konnte man umgehend ein rotes Plakat mit dem Gesicht al-Jabaris und der Aufschrift „eliminated“ sehen, das inerhalb kürzester Zeit Tausende von „Likes“ zählte, über 7000 Male geteilt wurde und über 2000 Kommentare bekam. Die Facebookseite hat seither über 280.000 „Gefällt Mir“-Angaben, über 400.000 User sprechen darüber. Der offizielle Armee-Twitteraccount @IDFSpokesperson, der inzwischen über 190.000 Follower zählen hat, wurde mit der Aufgabe betraut der Öffentlichkeit neueste Meldungen über Einsätze mitzuteilen.

Die  Reaktion der palästinensischen Seite ließ nicht lange auf sich warten. Auch die Qassam-Brigaden von der Hamas  sind mit dem offiziellen Account @AlQassamBrigade vertreten und versuchen dadurch ihrerseits Twitterbenutzer weltweit zu erreichen. So twitterten die Qassam-Brigaden nach dem Tod ihres Chefs al-Jabari

Al Qassam: ‚Occupation opened hell gates on itself‘ #hamas #gaza #israel

Im Minutentakt wird auch hier versucht eigene Aktionen, wie zum Beispiel Raketenangriffe, als Erfolge zu verkaufen. Im Vergleich zur israelischen Armee kann die Hamas aber nur 35.000 Follower verbuchen. Auch auf Facebook sind die Qassam-Brigaden nicht mit einer eigenen Gruppe vertreten.

„Krieg der Bilder“ und Kampf um gute PR

Nach nur kurzer Zeit scheint es, als könne Israel mit der gezielten Nutzung sozialer Medien punkten. Das Ziel dieser seit langem vorbereiteten PR-Offensive ist es, bei der Weltöffentlichkeit Terrain wett zu machen, das in den vergangenen Jahren im sogenannten „Krieg der Bilder“ verloren wurde. Der Staat Israel sieht sich im Zuge des Arabischen Frühlings immer weiter isoliert. Die Gaza-Offensive „Operation Gegossenes Blei“ aus dem Jahre 2008/09, die mit über 1400 getöteten Palästinensern und 13 Toten auf israelischer Seite tiefe Wunden hinterließ, war auch in Sachen PR ein totales Desaster. Erst verbot Israel internationalen Journalisten den Gazastreifen zu betreten, dann brachten Berichte über Kriegsverbrechen die Regierung von Zipi Livni in große Bedrängnis. Die Bilder und Videos, die  danach um die Welt gingen und millionenfach in Facebook und Youtube geteilt wurden, zeigten den Einsatz von Granaten mit weißem Phosphor und das Ausmaß der Zerstörung im Gazastreifen.

Das sollte bei einer zukünftigen Auseinandersetzung anders sein. Die israelische Armee vermag es diesmal viel besser den Einsatz als „sauberen Krieg“ mit präzisen Schlägen gegen Terroristen zu präsentieren, die der israelischen Bevölkerung in Grenzstädten wie Sderot seit Jahren das Leben schwer machen. In Sachen Twitter- und Facebooknutzung ist die Hamas für die IDF keine große Konkurrenz.

Doch verfügen die Palästinenser über ein seit Jahrzehnten gewachsenes, weltweites Netzwerk pro-palästinensischer Aktivisten. Diese unterhalten zahllose Facebook-Seiten, die auch jetzt Bilder vom Ausmaß des Leides der palästinensischen Zivilbevölkerung mit Tausenden Usern teilen. Ebenso sind Menschenrechtsaktivisten, von denen sich ein Großteil mit den Palästinensern solidarisiert, in der Nutzung der sozialen Medien sehr erfahren. Hinzu kommen die internetaffinen arabischen Revolutionäre aus Ägypten, Tunesien, Syrien und den anderen arabischen Staaten, die sich meist gegen den Staat Israel positionieren.

Die Initiative Avaaz.org schaffte es gar mit einem eigenen Blog über 1,5 Millionen Unterschriften für eine Petition zur Anerkennung Palästinas in den Grenzen von 1967 bei der UN zu sammeln.

Auch israelische Aktivisten von Friedensorganisationen wie Breaking the Silence, Gush Shalom oder Israel loves Iran, die sich eindeutig gegen die neue Militäraktion wenden, kann man zu einem solchen Aktivismus rechnen. In der israelischen Stadt Tel Aviv versammelten sich Hunderte solcher Kriegsgegner, die sich für ein Ende des Gazakrieges, der Besatzung im Westjordanland, für eine Zweistaatenlösung und Frieden in der Region aussprachen.

Parteinahme durch Anonymous

Neben dem Kampf um die Meinungshoheit im Internet kommen jetzt auch gezielte Hackerangriffe ins Spiel. Das Hackernetzwerk Anonymous ergriff am 15. November 2012 offiziell Partei und solidarisierte sich mit den Palästinensern. Dadurch bekam die israelische Armee im Internet einen ernst zu nehmenden Gegner. Verschiedene Zellen von Anonymous, so auch Anonymous Deutschland, erklärten in Videobotschaften mit der „#Operation Israel“ dem Staat den „Cyber-Krieg“ und begannen mit Attacken gegen die Server verschiedener Ministerien. Gleichzeitig sprachen sich Anonymous-Aktivisten in einer auf ihrem Blog veröffentlichten Stellungnahmen gegen jegliche Form des Antisemitismus aus, da zuvor extremistische Gruppierungen versucht hatten von den Aktionen profitieren zu können. Die Gründe für die Parteinahme von Anonymous für die die Palästinenser wurden folgendermaßen beschrieben:

The reasons for Anonymous intervention through #OpIsrael should be abundantly clear: What is happening in Palestine is oppression. They have no navy, no army, or air force.

Regierungs-Webseiten wurden binnen kürzester Zeit über 44 Millionen-fach attackiert. Nach eigenen Angaben gelang es über 9000 geheime Daten von israelischen Ministerien zu kopieren und weitere private Daten von 35.000 Mitarbeitern mit ID- und Telefonnummern, Wohnorten und E-Mail-Adressen im Internet zu veröffentlichen. Daraufhin erklärte Chief Information Officer Carmela Avner, die auch verantwortlich für die staatlichen Webseiten des Staates Israel ist, gegenüber CNN:

The war is being fought on three fronts (…)The first is physical, the second is the world of social networks and the third is cyberattacks.

In der Vergangenheit hatte auch die israelische Armee hinsichtlich Cyberangriffen aufgerüstet. Der Angriff mit dem Computerwurm Stuxnet im Juni 2010 auf iranische Nuklearanlagen wird Israel und den USA zugeschrieben. Derzeit sind die israelischen Behörden aber vor allem um Schadensbegrenzung bemüht, da man verhindern möchte, dass noch mehr persönliche Daten von Ministerialbeamten oder gar Geheimdienstmitgliedern veröffentlicht werden.

Der „Cyberwar“ ist in einem nie dagewesenen Ausmaß in vollem Gange. Dieser Krieg im Internet entwickelt sich zu einer neuen Form der asymmetrischen Kriegsführung, da hier keine stehenden, erkennbaren und eindeutig voneinander unterscheidbaren Armeen einander gegenüberstehen. Massen junger Hacker attackieren sich gegenseitig unter dem Deckmantel der Anonymität. Daher wird es schwierig, diese Art der modernen Auseinandersetzung mit einem Friedensvertrag zu beenden und diesen nun entfesselten Cyberwar zu stoppen, selbst wenn die militärischen Waffen schweigen werden.

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