Nachdem Aktivisten am Freitag zu einem „Day of Rage“ gegen die al-Qaida-Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS/ISIL) aufgerufen hatten, hat eine breite Front an Rebellengruppierungen begonnen Stellungen und Hauptquartiere von ISIS zu attackieren.
In den vergangenen Wochen hatten Kämpfer von al-Qaida immer wieder Führer der Freien Syrischen Armee und der Aktivisten der säkularen und zivilen Widerstandsbewegung festgenommen, gefoltert und enthauptet. Zahlreiche ausländische Journalisten wurden entführt. Viele Revolutionäre, die zunächst die Hilfe von Jihadisten befürworteten, wandten sich schließlich gegen al-Qaida und warfen ihnen sogar Kollaboration mit dem Assad-Regime vor, da ISIS genau jene Aktivisten verhaftete, die auf den Listen des Regimes standen. Auf Demonstranten feuerten die al-Qaida-Kämpfer genauso wie vorher die Sicherheitskräfte, was den Unmut der Zivilbevölkerung steigerte.
Interessant bei den jetzigen Kämpfen ist, dass sich Syriens Salafisten, die sich seit November in der Islamischen Front organisiert haben, an den Kämpfen gegen al-Qaida beteiligen. Ein führendes Mitglied der salafistischen Ahrar al-Sham wurde in einem Gefängnis von ISIS zu Tode gefoltert. Bilder von seinem entstellten Körper auf Twitter erweckten den Zorn vieler Aktivisten, über ideologische Grenzen hinweg. Es wurden heftige Gefechte zwischen der Islamischen Front und al-Qaida im Gebiet der ostsyrischen Stadt ar-Raqqa gemeldet.
Die Freie Syrische Armee, die man schon kurz vor der Auflösung wähnte, erfährt in diesen Tagen wieder enormen Auftrieb. Die neu gegründete Front Syrischer Revolutionäre, die in weiten Teilen um Aleppo den Kampf gegen al-Qaida aufgenommen hat, ist ein Versuch der Reorganisierung der Kräfte des oppositionellen Syrischen Nationalrats. Auf vielen eroberten al-Qaida Zentralen wurde nicht mehr die salafistische Fahne mit islamischem Glaubensbekenntnis gehisst, sondern die grün-weiß-schwarze Fahne der Revolution. Diese Flagge wurde in letzter Zeit eigentlich kaum noch verwendet. Gleichzeitig begannen Aktivisten in den von den Rebellen gehaltenen Teilen Syriens mit Demonstrationen für die Freie Syrische Armee und gegen den Islamischen Staat im Irak und Syrien.
Assad als lachender Dritter?
Die jetzigen Kämpfe zwischen der Freien Syrischen Armee und al-Qaida beweisen, dass die Revolution -anders als von Assad behauptet- keine Revolution von al-Qaida selbst ist. Er präsentierte sich selbst stets als Beschützer Syriens und der Minderheiten vor al-Qaida. Dieses Bild könnte jetzt getrübt werden. Was viele nicht wissen, Assad arbeitete über Jahre hinweg selbst mit eben jener al-Qaida-Gruppe zusammen, die ursprünglich aus dem Irak kommt und jetzt auf Schiiten, Alawiten und Oppositionelle Jagd macht. Damals unterstützte er al-Qaida, um die amerikanische Besatzungsmacht im Irak zu schwächen.
Doch die jetzigen Kämpfe zwischen den sunnitischen Jihadisten und der Freien Syrischen Armee nützen vor allem dem Diktator. Viele Führer der Freien Syrischen Armee und auch der Salafisten wurden von ISIS ermordet. Falls die gut ausgebildeten und kampferfahrenen Kämpfer von al-Qaida die Frontabschnitte gegen die regimetreue Armee verlassen, könnte Assad mit verbündeten schiitischen Jihadisten wieder vorstoßen. Damit hatte ISIS gedroht.
Es kann also gut sein, dass Assad wartet bis al-Qaida in Syrien weitgehend besiegt ist und die Freie Syrische Armee und die Islamische Front geschwächt sind, um anschließend gemeinsam mit der Hisbollah und schiitischen Kämpfern aus dem Irak eine Großoffensive zu starten. Ohne Untersützung aus dem Ausland könnte die Freie Syrische Armee selbst einem solchen Ansturm wenig entgegensetzen.
Siehe auch: Bericht von Adopt a Revolution über Demonstrationen gegen al-Qaida