Relaunch: DerOrient.com heißt jetzt Abrahamic Studies

Während zahlreiche Menschen den Begriff „Orient“ noch völlig kritiklos verwenden, hat er für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen inzwischen sehr negativen Beigeschmack. Zu sehr wurde der Begriff von kolonialistischem und orientalistischem Denken geprägt, birgt Exotisierung, Eurozentrismus und Stereotypisierung mit politisch gravierenden Folgen für Menschen in den Regionen des sog. „Orients“ und auch hierzulande. Daher habe ich mich nach langem Überlegen und über 7 Jahren DerOrient.com dazu entschlossen, diesen Blog umzubenennen.

Wie ist des zur Gründung des Blogs DerOrient.com gekommen?

Nach einem einjährigen Aufenthalt in Jerusalem und Hebron 2009-2010, der mein Leben bis heute wohl am nachhaltigsten geprägt hat, entschied ich mich für ein Studium der Orientalistik, Germanistik und Judaistik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Mein Hauptstudiengang trug sogar noch expliziter den Titel „Islamischer Orient“, für Forscherinnen und Forscher in Bamberg also scheinbar nicht besonders problematisch, obwohl auch diese Benennung sofort Fragen aufwirft: Wo liegt der „Orient“ genau? Wieso ist er „islamisch“? Gibt es auch einen „christlichen Orient“ u.v.m. Diese kritischen Fragen stellten sich bei mir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht. Mit den für mich heute sehr wichtigen wissenschaftlichen Kritiken des Postkolonialismus und Orientalismus wurde ich erst viel später in Berührung gebracht.
2011 gründete ich den Blog „Orientkolloq“ und 2012 führte ein ebenfalls sehr prägendes Praktikum bei der Redaktion Qantara, einem Projekt der Deutschen Welle, das sich „dem Dialog mit der islamischen Welt“ verschrieben hat zur ersten Umbenennung in „Der Orient“. Da „Der Orient“ noch nicht vergeben war, was ich zunächst nicht glauben konnte, sicherte ich mir die Domain, um von nun an mit dem Ziel der ausgewogenen Berichterstattung zu Nordafrika, Naher Osten, Islam u.a. zu schreiben. Der kolonialistische, von rassistischen Vorurteilen geprägte und eurozentristische Habitus vieler Dokumentationen, in Teilen der Berichterstattung und in der Öffentlichkeit waren mir zuwider. Dem wollte ich etwas Vernünftiges entgegensetzen. Mit der Zeit hat sich allerdings das Themenfeld erweitert. Häufig geht es auch um islamische Theologie und Islam in Deutschland und Europa.

Studium der Fächer Islamischer Orient, Germanistik und Judaistik

Erst mit dem Masterstudium der Nahoststudien an der Otto-Friedrich-Universität Erlangen-Nürnberg begann die begriffsgeschichtlich-kritische Auseinandersetzung mit vielem, was durchaus schon im Bachelorstudium geschehen sollte. Edward Said setzte mit seinem Werk „Orientalismus“ für eine kritische Aufarbeitung der Sichtweisen auf „den Orient“ und „die Orientalen“ einen Meilenstein. Ob „Naher Osten“, „der Orient“, „die islamische Welt“ u.v.m.: Begriffe, die für einen zunächst völlig selbstverständlich erschienen, tun dies nun nicht mehr. Begriffskritik ist ein integraler Bestandteil ehrlicher Wissenschaft. Was also tun? „Der Orient“ umbenennen? Nachdem man sich über Jahre hinweg eine Marke aufgebaut hat?
Ja. Es führt kein Weg daran vorbei. Insbesondere dann nicht, wenn es in diesem Blog auch vielfach um muslimische Themen in Deutschland und Europa geht. Andernorts setze ich mich dafür ein, dass man als Muslim oder Muslimin selbstverständlicher Teil dieses Landes ist. Fremdmarkierung, Stereotypisierung und Exotisierung wären unvermeidbare Folgen.

„Orient“ und „Okzident“ sind keine Gegensatzpaare

„Orient“ und „Okzident“ sind für mich keine Gegensatzpaare und keine voneinander abgeschlossenen Entitäten. Die Phrase vom „jüdisch-christlichen Abendland“ in Abgrenzung zum „islamischen Orient“ nichts weiter als ein ideologisches Konstrukt. Vielfach waren die Verbindungen zwischen Europa und dem sog. „Orient“ fruchtbar (Kulturtransfer, Handel), vielfach tragisch (Verbrechen im Zuge des Kolonialismus, Rassismus).
„Der Orient“ ist für mich nicht „das Fremde“, sondern bereits Goethe sprach vielen aus dem Herzen, indem er bekannte:
„Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“
Für Millionen von Menschen und auch für mich ist das bereits gelebter Alltag: für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Thematik auskennen, für Menschen mit Migrationshintergrund, für Nachkommen der sog. „Gastarbeiter“ unterschiedlichen Glaubens, für muslimische Deutsche, für Menschen, die es auf welchem Wege auch immer z.B. aus der MENA-Region nach Europa verschlagen hat oder die es umgekehrt aus Europa in die MENA-Region und darüber hinaus zieht, sei es aus familiären Gründen, dem Studium oder wegen der Arbeit. Nur gefährliche Ideologen und Populisten bauschen „Orient“ und „Okzident“ zu Gegensatzpaaren auf, verwenden hierfür längst widerlegte „Kulturkreis“-Theorien und althergebrachte Klischees.

Neuer Name: Abrahamic Studies

Welcher Name könnte nun inhaltlich passen? Da ich mich hauptsächlich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Religionen Judentum, Islam und Christentum beschäftige ist der Titel „Abrahamic Studies“ geradezu prädestiniert. Die alte Domain wird im nächsten Jahr noch automatisch auf die neue umgeleitet. Ja, es wird Anstrengungen kosten sich mit einem neuen Namen ein neues Profil aufzubauen. Aber es ist richtig und notwendig.

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