Debatte: Beschneidungsgegner im Islam

Cover Beschneidungsgegner HAIn den Talkshows und Zeitungen der Bundesrepublik entbrannte vor nicht allzu langer Zeit eine heftige Diskussion. Eine Diskussion, die bist heute nicht abgeschlossen ist und Islam, wie auch das Judentum, als kollektive Kritikobjekte ausmacht. Der Tenor war „‚Wir‘ als aufgeklärte Gesellschaft gegen ‚Die‘ als Rückwärtsgewandte“. Es ging und geht um die Beschneidung. Der Denkansatz „Fortschrittlich oder Rückwärtsgewandt“ ist falsch und auch innerhalb der islamischen Welt ist die Beschneidung nicht unumstritten. Eine Bestandsaufnahme.

Am 7. Mai 2012 löste das Kölner Landgericht die heftige Kontroverse aus, indem es die Knabenbeschneidung ohne medizinische Notwendigkeit zum Straftatbestand der Körperverletzung erklärte. Holm Putzke, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht an der Universität Passau, hatte hierfür in seinem Aufsatz  „Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben“ die medizinische und juristische Grundlage für ein solches Urteil geliefert.

Namhafte Beschneidungsgegner gibt es seit jeher auch in der islamischen Welt. Hierbei handelt es sich nicht, wie zunächst oft angenommen, um atheistisch-sozialistisch geprägte Intellektuelle. Viele muslimische Beschneidungsgegner berufen sich in ihrer Kritik auf ihre muslimische Religiosität.

Der libysche Richter Mustafa al-Mahdawi

So zum Beispiel der Libyer Mustafa Kamal al-Mahdawi (DMG. Muṣṭafā Kamāl al-Mahdawī). Dieser befand sich seit der Machtergreifung Gaddafis im Amt des Richters am Berufungsgericht in Bengazi und war daher eng mit dem Regime verbunden. In seinem Buch „Die Botschaft im Koran“ (1991) wandte er sich strikt gegen jede Form der Beschneidung, bei Mädchen und Knaben. Die Beschneidung sieht er als spezifisch jüdische Tradition. Die Juden seien seiner Ansicht nach der Auffassung gewesen, Gott könne sie nur als zugehörig zum auserwählten Volk erkennen, wenn sie das „Merkmal“ der Beschneidung trügen. Mit dem Neuen Testament der Christen sei dieses jüdische Gebot aber aufgehoben worden, weswegen es unsinnig sei, diesen Brauch noch als Muslim zu praktizieren.

Im Koran gebe es keinerlei Hinweise auf ein Gebot der Beschneidung bei muslimischen Männern und Frauen, womit ein solcher chirurgischer Eingriff nach seiner Interpretation ein klarer Verstoß gegen Gottes Wort im Koran darstelle. Ein weiterer Beweis für die Falschheit der Beschneidung sei die Erwähnung des Rasierens und Nägelschneidens im Koran. Wichtige Pflichten seien direkt von Gott im Koran zu finden und die Beschneidung sei somit weniger bedeutend als das Rasieren oder stutzen der Nägel. Hätte die Beschneidung eine Bedeutung, stünde sie im Koran.

Mustafa al-Mahdawi unterscheidet sich in einer Rechtsfindung aber von traditionell-sunnitischen Rechtsgelehrten, da er sich ausschließlich auf den Koran beruft. Sunnitische Scheichs ziehen hierbei oft Hadithe (Überlieferungen über Aussagen und Lebensweise von Muhammad) heran. In Gaddafis Libyen wurden Hadithe als Quelle der Rechtsfindung abgelehnt, da diese nicht direkt von Gott stammen. Dies machte al-Mahdawi zur Zielscheibe vor allem radikaler Rechtsgelehrter aus Saudi-Arabien, die ihm Unglaube (arab. Kufr) und Abfall vom Glauben vorwarfen, das Verbot seiner Schriften und seine Hinrichtung forderten. Somit kann al-Mahdawi als Vertreter einer kleinen Minderheit innerhalb des Islam angesehen werden.

Der Reformer Gamal al-Banna

Anders verhält es sich bei dem islamischen Gelehrten Gamal al-Banna aus Ägypten. Er war der Bruder des Gründers der Muslimbruderschaft, Hasan al-Banna, galt aber als Vertreter eines der Moderne angepassten Islam. Anders als al-Mahdawi folgte Gamal al-Banna der traditionellen sunnitischen Rechtsfindung und zog demzufolge auch Hadithe für seine Argumentation gegen Beschneidung heran. Ein Hadith muss für seine Glaubwürdigkeit eine Überliefererkette aufweisen. Viele Hadithe haben hier aber eine Lücke, was al-Banna in seiner Schrift „Sichtweisen zur Beschneidung“ gerade im Bezug auf die Beschneidung anprangert. Jene Hadithe, die sich für eine Beschneidung aussprechen, wiesen aber genau solche Überlieferungslücken auf, wohingegen andere Prophetenüberlieferungen ohne Lücke vor einer Beschädigung des Körpers warnten. Für Gamal al-Banna könne ein solch gravierender Eingriff wie die Beschneidung nicht auf derart zweifelhafte Überlieferungen gestützt werden.

Al-Banna zitiert Sure 95 Vers 4 „Wir erschufen den Mensch gewiss in schönster Gestalt“. Nach al-Bannas Interpretation wäre die Beschneidung nicht nur ein Verstoß gegen die gesunden Hadithe, sondern auch gegen den Koran.

Die Tradition der Beschneidung führt al-Banna bis in das pharaonische Zeitalter zurück. Über das Judentum habe die Beschneidung Einzug bei den Muslimen gefunden, obwohl diese das islamische Gebot der „Heiligkeit des Menschlichen Körpers“ verletze. Die Erschaffung des Menschen „in schönster Gestalt“ impliziere selbstverständlich auch dessen Geschlechtsteile. Gotte habe mit deren Erschaffung auch das Lustempfinden von Mann und Frau beabsichtigt. Gerade für die Frau sei die Beschneidung aber ein besonders barbarischer Akt, da sie ihr jegliches Lustempfinden in sexueller Hinsicht nehme und auch der schmerzhafte Vorgang der Mädchenbeschneidung zu einer lebenslänglichen Traumatisierung führe.

Auch habe Muhammad die Frauen zu „Schwestern der Männer“ erklärt, was seiner Interpretation die Gleichwertigkeit von Mann und Frau bedeute. Die Beschneidung der Geschlechtsteile der Frau würden gerade dieses Gleichgewicht zunichte machen und ein ungesundes Ungleichgewicht in der Beziehung zwischen Mann und Frau herstellen. Gerade die Mädchenbeschneidung sei damit ein „Verbrechen, das beendet werden“ müsse. Anders als der Libyer Mustafa al-Mahdawi wird Gamal al-Bannas sunnitische Argumentation im Allgemeinen respektiert und ist nicht mit dem Vorwurf des Unglaubens behaftet.

Beschneidungsdebatte – auch im Islam

Die Positionen der beiden Beschneidungsgegner zeigen, dass die Debatte über die Beschneidung nicht nur eine westliche bzw. europäische Debatte hinsichtlich der Grenzen der Religionsfreiheit und der Körperverletzung darstellt. Sie wird innerhalb der muslimischen Gelehrsamkeit sehr kontrovers diskutiert. Das in Europa weit verbreitete Bild vom Islam als rückständige Religion mit barbarischen Traditionen wird damit entkräftet. Meinungspluralismus mit sich teilweise auch komplett widersprechenden Ansichten kann nicht nur im christlich geprägten Abendland existieren. Er ist auch Teil der Kultur der islamischen Welt, die eben nicht „rückständig“ ist, sondern mit ganz anderen Problemen als Europa zu kämpfen hat. Eine Beschneidungsdebatte kann ein wichtiger Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft sein und ist kein Zeichen eines Zusammenpralls der Kulturen.

 

 

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Dieser Artikel basiert auf der wissenschaftlichen Arbeit „Beschneidungsgegner in der islamischen Welt“. Sie ist unter https://abrahamicstudies.files.wordpress.com/2014/05/ha-beschneidungsgegner-pdf.pdf kostenlos abrufbar. Die Positionen von Mustafa Kamal al-Mahdawi und Gamal al-Banna finden sich zudem in dem Buch Ḫitān aḏ-ḏukūr wa-l-ināṯ ʿind al-yahūd wa-l-masīḥiyīn wa-l-muslimīn (dt. „Knaben- und Mädchenbeschneidung bei Juden, Christen und Muslimen“) des palästinensisch-schweizerischen Juristen und Leiters des Zetrums für arabisches und islamisches Recht in Saint-Sulpice (Schweiz), Sami al-Deeb (DMG Samī aḏ-Ḏīb).

 

aḏ-Ḏīb, Samī: Ḫitān aḏ-ḏukūr wa-l-ināṯ ʿind al-yahūd wa-l-masīḥiyīn wa-l-muslimīn: al-ǧaddāl ad-dīnī, Beirut: Riyad el-Rayyes 2000 (Das Buch gibt es hier zu kaufen)

—> Gamal al-Banna: Waǧhat an-naẓar fī l-ḥitān (dt. „Sichtweisen zur Beschneidung“) S. 505 ff.

—> Rāʾī l-qāḍī Muṣṭafā Kamāl al-Mahdawī (dt. „Die Meinung des Richters Muṣṭafā Kamāl al-Mahdawī) S. 503 ff.

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