Opferfest: Sollte Abraham Isaak oder Ismael opfern?

Derzeit begehen etwa 1,5 Milliarden Muslime weltweit das Opferfest. Dabei gedenken sie des Stammvaters Abraham, der auf Befehl Gottes hin einen seiner Söhne opfern sollte, um seinen tiefen Gottesglauben unter Beweis zu stellen. Im letzten Moment erlässt Gott die Tötung des Sohnes und schickt stattdessen ein Opfertier als Ersatz. Das Leben des Sohnes ist gerettet. Auch in der Bibel taucht diese Geschichte sehr ähnlich auf, doch bei der Frage, wer der zu opfernde Sohn gewesen sei, gibt es zwischen Muslimen einerseits und Juden/Christen einen langen Streit. Was vielen nicht bewusst ist: Auch innerhalb des Islam war man sich hier keineswegs immer einig.

Abraham gilt sowohl Juden, Christen als auch Muslimen als Urvater ihres eigenen Glaubens. Alle beanspruchen diesen in gewisser Weise für sich. (dazu hier ausführlicher) Die Traditionen zu Abraham überschneiden sich dabei stark, so auch die Biographie Abrahams. Lange war Abrahams Frau Sarah der Überlieferung nach bis ins hohe Alter kinderlos. Abraham hatte sich schon damit abgefunden, doch vertraute er auf Gott, der ihm verhieß, dass ein leiblicher Sohn ihn beerben solle. Zunächst schien dieser Nachfolger sein Sohn Ismael zu werden, den er aufgrund der geglaubten Unfruchtbarkeit seiner Frau Sarah mit seiner Sklavin Hagar gezeugt hatte. Wider Erwarten bekommt Sarah im hohen Alter aber doch noch einen Sohn: Isaak. Damit beginnt die Tragödie um Isaak und Ismael, denn wer sollte nun Nachfolger werden? Hagar und Ismael werden von zuhause fort- und in die Wüste geschickt.

Die biblische Tradition: Isaak

Die Frage, wer der zu opfernde Sohn sei, ist in der biblischen Tradition eindeutig zu beantworten. In der Hebräischen Bibel wird Isaak namentlich als dieser zu opfernde Sohn erwähnt: „Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du leibhaft, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde“. Angesichts dieses göttlichen Wunders und der lang ersehnten Erfüllung des größten Wunsches Abrahams erscheint es besonders grausam, dass Gott gerade jetzt von Abraham fordert, diesen Sohn, den Abraham lange Jahre mit Sarah aufzog, als Glaubensbeweis zu opfern. (Vgl. 1 Mose  22, 2.) Die bedingungslose Unterwerfungs- und Opferbereitschaft Abrahams vor Gott wird in dem Moment deutlich, als dieser das Messer empor streckt, um Isaak im nächsten Moment zu töten. Doch Gott verschont seinen Sohn in diesem Moment und belohnt Abrahams bedingungslosen Gehorsam und Gottvertrauen (hebr. emuna) wird mit dem Leben seines Sohnes belohnt und Gott sorgt selbst für ein Ersatzopfer.

Die koranische Tradition: Ismael?

Fragt man heutzutage Muslime, wer denn dieser Sohn gewesen sei, so wird die Antwort meist so eindeutig wie bei Juden und Christen, jedoch anders ausfallen: Ismael. Doch der Koran ist hier weitaus komplizierter als zunächst angenommen, denn weder wird die Abrahamserzählung und die Prüfung Gottes durch den Befehl der Opferung in einem Stück erzählt, noch der Name des Sohnes erwähnt.

In Sure 37, 102 und 107 „Und (eines Tages,) als (das Kind) alt genug geworden war, an seines (Vaters) Bemühungen teilzuhaben, sagte letzterer: ‚Oh meinlieberSohn! Ich habe in einem Traum gesehen, daß ich dich opfern sollte: betrachte denn, was deine Ansicht sein würde (…) Und wir lösten ihn aus einem gewaltigen Opfer“. Die Abfolge der Opferung als Prüfung durch Gort und die Interpretation Abrahams unterscheidet sich in jüdischer, christlicher und muslimischer Tradition kaum bis gar nicht. Gemeinsam haben sie dieses Ereignis als Prüfung des wahren Glaubens und der bedingungslosen Gottergebenheit Abrahams.

Während die in der heutigen Rezeption eindeutig Ismael überwiegt, sah das in der frühislamischen Geschichte anders aus. Aufwändig wurde der Korantext analysiert, um hier die richtige Antwort zu finden. Nach Reuven Firestone gehen 130 autoritative Interpretationen bei dem intendierten Opfer von Isaak und 130 von Ismael aus. (Vgl. Firestone, Reuven: Journeys In Holy Lands. The Evolution of the Abraham-Ishmael Legends in Islamic Exegesis, State University of New York Press: New York 1990, S. 135.)

Es herrschte also ein Patt. Beispielsweise dem Koranexeget Ismāʿīl ibn ʿAbd ar-Rahmān as-Suddī (bis 745) zufolge war der Sohn Isaak und nicht Ismael. Auch der große islamische Historiker Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī spricht in seinem großen Tafsīr von Isaak und nicht von Ismael. Laut dem Verfasser der Sīrades Propheten Muḥammad und des Kitāb al-Mubtadaʾüber die Zeit der Weltschöpfung bis Muḥammad, Muḥammad ibn Isḥāq, hingegen handelte es sich bei „mein(em) lieb(en) Sohn“ um Ismael und nicht Isaak. Bei späteren Tafāsīr, wie zum Beispiel des ibn Kaṯīr (1301-1373), war nur noch von Ismael die Rede.

Warum setzte sich die Ismael-Tradition durch?

Die Muslime waren sich zunächst also keineswegs einig, ob nun Isaak, der Stammvater der Hebräer oder Ismael, der Stammvater der Araber, geopfert werden sollte. Der Koran wird nach muslimischer Tradition als Fortführung und Korrektur der Bibel gesehen und eine explizite Korrektur hin zu Ismael sucht man im Koran vergebens. Doch wahrscheinlich liegt genau in dem Punkt der Frage nach dem Stammvater des eigenen Stammes der Grund für die spätere Eindeutigkeit bezüglich Ismael. Der Prophet Muḥammad selbst stammt nach islamischer Tradition von Ismael ab, die Araber werden in der Bibel bereits als „Ismaeliten“ (ישמעאלים) bezeichnet. Mit der heiklen Frage der Rechtsnachfolge verbindet sich der theologische Streit um den Bund Abrahams mit Gott. Im Judentum setzte sich auch erst mit der Zeit ein sehr negatives Ismaelbild durch und nur Isaak solle Erbe des Bundes mit Gott sein und keinesfalls Ismael, obwohl dieser Abrahams erster Sohn war. Dies kollidiert selbstverständlich mit der muslimischen Tradition, wonach sich der Prophet Muhammad genau auf jenen Ismael zurückführte.

Trotz Streit: Gemeinsamkeiten überwiegen

Doch trotz der Isaak-Ismael-Kontroverse bleibt die Intention der Geschichte an sich in Koran und Thora identisch: Abraham wird in seinem Glauben vor die für einen noch so spät gewordenen Vater wohl härteste Prüfung gestellt und durch Intervention Gottes kurz vor der gerade angesetzten Schlachtung seines Sohnes vor Schlimmerem bewahrt. Sowohl in Hebräischer Bibel als auch im Koran gibt es ein Ersatzopfer. Doch wird in der Bibel explizit von einem „Widder“ im Koran nur von „einem gewaltigen Opfer“ gesprochen. Die unterschiedlichen Interpretationen können zu heftigen Kontroversen und Auseinandersetzungen führen, da jede abrahamitische Religion einen gewissen Exklusivitätsanspruch hat. Doch vor lauter Streit vergessen hier viele die großen Überschneidungen zwischen Judentum, Christentum und Islam und auch den innerislamischen Pluralismus bei der Interpretation des Korantextes.

 

 

 

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